Manchmal werde ich von Zeitgenossen gefragt, warum ich eigentlich nicht als Autor arbeiten würde und meine Texte verlegen ließe, auf dass sie jemand als Buch vermarkte – schließlich könne man damit doch einen guten Euro verdienen, und dann müsse ich nicht mehr betteln. Und wenn schon das nicht, so doch wenigstens als freier Schreiber in irgendwelchen Zeitungen und Zeitschriften.
Diese Frage hat oft diesen nur leicht unterdrückten vorwurfsvollen Ton, der mir verrät, dass sich unter der vorgeblichen Besorgnis und unter dem angeblichen Interesse eigentlich nur die Kritik an meinem kampflosen Sein und meinem gesamten Lebensstil verbirgt, letzlich an meiner ganz persönlichen Person an sich; eine Haltung, die bei völliger Entlarvung ihrer Motivation wohl nur noch als Spiegelbild des heute gängigen „Faschismus der extremen Mitte“ erscheinen würde – als das nachchristliche, industrietaugliche Christentum, das sich auf die arg eingedampfte und jedes Kontextes beraubte Teilaussage von Paulus reduziert: „(…) wenn jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen. Denn wir hören, dass etliche unter euch wandeln unordentlich und arbeiten nichts, sondern treiben unnütze Dinge.“ (2. Thess 3, 11-12, Luther-Übersetzung)
Als friedliebender Mensch sage ich das aber meistens nicht. Ich schlucke die mir so großzügig dargebotene Verachtung herunter und füttere mit diesem verdorbenen Bissen den glühenden Hass, der mich auch unter schwierigen Umständen noch aufrecht hält. Es ist – und das unterscheidet mich von denen, die so reden – kein Hass gegen Personen in ihrer Bedingtheit, sondern gegen den Prozess, der gegenwärtig über der Gesellschaft abläuft und bestenfalls noch gegen die übleren Vertreter der vampirhaften Profiteure der allgemeinen menschlichen Verstümmelung. Und dann besinne ich mich des verlorenen Häufleins von Menschen, die wissen, was sie an mir haben und niemals anders an mir anders haben könnten, und mit denen ich so täglich Armut, Verzweiflung und Humor teile – unser einziger Reichtum in einer Welt, in der die Lebenden von einem erbärmlichen Hunger nach Leben getrieben werden: Wir sind immer noch Menschen, erschrocken und bedrängt, aber fühlend und denkend.
Und dann erwähne ich bei aller inneren Hitze betont affektlos, dass ich die Hochschätzung meines Schreibens und Denkens gut verstehen kann; aber die Menschen, die der schaffenden Menschen Werk vermarkten und davon leben, legen doch einen sehr anderen Maßstab an die Hervorbringungen meines Lebens an. Sie klopfen diese an allen kleinen Stellen nach ihrer Marktfähigkeit ab, mit dem Blick und dem Taschenrechner des Kaufmannes, der aufkauft und mit Gewinn wieder verkaufen will. Und im gegenwärtigen gesellschaftlichen Wahn ist der Marktwert meiner Mitteilungen eben gering; was allerdings keine Aussage über den menschlichen Wert ist. Die Seele des Konsumisten ist eben billig und begnügt sich in der Barbarei unverschämter Bescheidenheit mit einer groß vermarkteten Biografie eines Herrn Bohlen, der mir schon genug Stichproben seines Anspruches in die Ohren gegeben hat und dennoch mit seiner Autobiografie einen Bestseller verlegen lassen kann, den er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einmal selbst schreiben könnte.
Und dann setze ich fort mit meinem durch vielfaches Berichten ermüdeten Bericht, wie ich einst für ein kleines Bändchen Gedichte (die ich heute übrigens nicht mehr veröffentlichte, da sie mit dem süßen Blut meines Herzens geschrieben sind) von Verleger zu Verleger ging, so wie Jesus von Pontius zu Pilatus ging, nur um immer wieder das gleiche vernichtende Urteil zu hören.
Und wie ich, mangels gefestigten Selbstbildes und unter der engen Bedingung eines fehlenden Selbstvertrauens dieses Urteil als ein Urteil gegen meine Person verstand; wie ich selbst der Verwechselung des Marktwertes meiner Hervorbringungen mit dem menschlichen Wert derselben erlag und wie mich dieser kapitalisitsche Wahnsinn zerfraß, bis hin zur Geisteskrankheit, in der sich das Wahnhafte des gesellschaftlichen Prozesses widerspiegelte.
Eigentlich sollte das jeder verstehen können, der unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen arbeitslos geworden ist (oder als jüngerer Mensch eine Lehrstelle sucht) und Bewerbungen über Bewerbungen absetzt, ohne dass ihm jemand die ersehnte Antwort zu Teil werden lässt. Das nagt sogar am Selbstwertgefühl von Menschen, die durch ihre größere Stumpfheit sehr viel weniger verletzbar sind als ich. Aber auch mit diesem Querverweis fehlt das Verständnis beim fordernd Fragenden, schließlich seien das völlig andere Dinge, gehe es im einen um ganz gewöhnliche Arbeit und im anderen um die heilige Kuh der Kultur, ja tausendfach sei sie gepriesen in unser’m Preis!
Dass das Kulturelle selbst beschädigt ist durch das übergeordnete Primat des Ökonomischen, an dem jede menschliche Regung und Strebung sich zu messen lassen hat, will diesen Fernsehzuschauern und Zeitungslesern nicht einleuchten; es wird gar nicht erst als Gedanke zugelassen. Da hilft auch der beinahe kindgerechte Hinweis nicht, dass schon eine einfache, nüchterne Betrachtung des heutigen Kulturbetriebes, oder um mit Adorno zu sprechen, der Kulturindustrie leicht aufzeigt, dass deren Produkte nicht einmal der bildungsbürgerlich-armseligen Forderung nach „Anspruch“ genügen können, geschweige dann der einzig sinnstiftenden nach wirklicher Tiefe.
Und so verläuft das Gespräch immer, wie ich es von den vorherigen Gesprächen bereits gewohnt bin; in Einsichtslosigkeit und Kopfschütteln – was bei vielen Menschen die einzige verbliebene Bewegung im Gehirn zu sein scheint.
Ein kleiner Same ist an ein anderes Gehirn herangetreten, und es geht wie im biblischen Gleichnis vom Säemann ( Mk. 3, 3-9, Luther-Übersetzung): „Höret zu! Siehe, es ging ein Säemann aus, zu säen. Und es begab sich, indem er säte, fiel etliches auf dem Weg; da kamen die Vögel und fraßen’s auf. Etliches fiel auf das Felsige, wo es nicht viel Erde hatte, und ging bald auf, darum daß es nicht tiefe Erde hatte. Da nun die Sonne hochstieg, verwelkte es, und weil es nicht Wurzel hatte, verdorrte es. Und etliches fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen empor und ersticken’s, und es brachte keine Frucht. Und etliches fiel auf gutes Land und ging auf und wuchs und brachte Frucht und trug dreißigfältig und sechzigfältig und hundertfältig. Und er sprach: Wer Ohren hat, zu hören, der höre!“
Aber wer mir das alles nicht glaubt, der glaubt vielleicht anderen mehr. Der wird dann vielleicht hellhörig mit seinen Ohren, wenn er hört, dass die Sunday Times ein leicht verändertes Anfangskapitel eines Romans von V. S. Naipaul probehalber an zwanzig Verlage verschickt hat, um zwanzig Mal eine Absage zu bekommen.