Die Bundesagentur für Armut und billige Arbeitskräfte hat es gewiss nicht leicht. Die Mitarbeiter dieser Elendsverwaltung sind mit der äußerst undankbaren und objektiv unmöglichen Aufgabe konfrontiert, arbeitslos gemeldete Menschen in ausreichender Zahl in Beschäftigung zu vermitteln, auf dass die Vorgaben aus Berlin und Nürnberg erfüllt sind. Hauptsache, die Statistik stimmt.
Leider gibt es dabei ein schweres Problem. Den gemeldeten knapp fünf Millionen arbeitslosen Menschen – und hinter dieser Zahl verbergen sich gut acht Millionen arbeitslose Menschen, da einige Menschen in sinnlosen, zeitlich begrenzten Zwangsmaßnahmen der Bundesagentur sind, während sich so manch anderer Mensch nicht mehr arbeitslos melden will oder kann und sich statt dessen irgendwie durchschlägt – stehen nur so mickrige dreihunderttausend bis vierhunderttausend offene Stellen gegenüber. Dass es unter solchen Umständen überhaupt noch offene Stellen gibt, sollte jedem Denkenden offenbaren, dass die Arbeitsbedingungen mancherorts nicht mehr viel mit der grundgesetzlich verbrieften „menschlichen Würde“ zu tun haben werden.
Wo im Rahmen der Hartz IV-Reformen so für die Statistik gearbeitet wird, da gibt’s natürlich auch ein paar „Kollateralschäden“ – etwa die in vielen Agenturen zu beobachtende Tendenz der Mitarbeiter zur „inneren Kündigung“, die angesichts der Rahmenbedingungen in den lokalen ARGEn durchaus verständlich ist. Es geht hierbei nicht nur um unerfüllbare Anforderungen, sondern auch um schlechte Kommunikation und ungeregelte Kompetenzverteilung zwischen den Rest-Sozialämtern und den Mitarbeitern der Bundesagentur, um eine fehlerhafte Software, die regelmäßig jede Antragsbearbeitung über Tage hinweg unmöglich macht, während die Arbeit sich auf dem Schreibtisch stapelt und um die frustrierende Unmöglichkeit, unter solchen Umständen überhaupt noch von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen in Arbeit vermitteln zu können. Wenn’s einen Ort gibt, an dem ich zurzeit auf gar keinen Fall arbeiten möchte, dann ist’s die Bundesagentur für Arbeit – es reicht, gelegentlich von Bekannten am Rand mitzubekommen, was dort vor sich geht.
Wo sinnvolles Arbeiten nicht möglich ist, aber wegen der p’litischen Vorgaben ein Ziel erreicht werden muss, da stellt blinder Aktionismus schnell sich ein. Und wo die menschlichen Grundlagen der Tätigkeit vollends verloren gegangen sind, da kommen so genannte „Entscheidungsträger“ in Deutschland immer wieder gern auf die Idee, dieses Problem technisch zu „lösen“. So etwa im Fachkonzept »Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement im SGB II«. Ich will die menschenverachtende Sprache dieses Titels hier nur am Rande würdigen; wer in Elend und Armut der Menschen einen „Fall“ sieht, der „beschäftigungsorientiert“ zu „managen“ ist, der schreibt über den Toren seiner Behandlungsanstalten für diese „Fälle“ auch schon mal so etwas wie „Arbeit macht frei“. Da wundert es dann auch nicht, dass solch’ sprachliche Offenbarung in einem Programm mit dem ebenfalls deutlich-deutschen Namen „Fördern und Fordern“ findet.
Wie schon gesagt, bei all’ diesem Gelaber und Geschreibe entmenschter Bürokraten kommt nach wie vor eine offene Arbeitsstelle auf fünfzehn bis zwanzig arbeitslose Menschen. Dieses Verhältnis darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn man die Verwaltungs- und Vergewaltigungsakte beurteilen will.
Nein, es geht mir mehr um die inhaltliche Idee des bösen Pamphlets, das bereits jetzt in Verwaltungspraxis umgesetzt wird. Die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit sollen in äußerster Schamlosigkeit und technokratischer Barbarei plump persönliche Fragen an die arbeitslosen Menschen stellen, zum Beispiel nach persönlichsten Beziehungen und Freundschaften, und das bin hin zu intimeren Details. Und die so gewonnenen Informationen werden in die große Datenverarbeitung eingespeist, und dann wird damit so genanntes „Data Mining“ betrieben.
Was dieses „Data Mining“, dieser Datenbergbau, sein soll?
Vielleicht haben Sie es schon einmal am eigenen Leibe erfahren, das kann wirklich schnell passieren. Etwa, wenn Sie, obwohl ihr Einkommen völlig hinreichend ist und einige Ihrer Bekannten keine derartigen Probleme haben, einfach keinen Ratenkredit von einer Bank bekommen können oder sich Ihre Hausbank weigert, Ihren Dispo anzuheben. Natürlich wird dafür kein Grund angegeben, und wenn Sie darüber nachdenken, will Ihnen beim besten Willen kein objektiver Grund dafür einfallen.
Und natürlich haben Sie dabei eine blütenreine Schufa.
Es liegt wahrscheinlich an Ihrer persönlichen Kombination aus Alter, Geschlecht, Wohngegend und Beruf.
Wie bitte? Was das mit Ihrer Bonität zu tun haben soll?
Das kommt ganz auf die Betrachtung an. Die Kreditinstitute sind immer wieder damit konfrontiert, dass sie auf Forderungen sitzen bleiben. Und sie haben damit verbundene Daten, eben die Stammdaten ihrer Kunden. Und dann wird mit Hilfe spezieller Programme dieser Datenbestand durchgewühlt, um Merkmalskombinationen zu ermitteln, die in der Vergangenheit mit einem höheren Risiko für die Bank verbunden waren. Und dieses Risiko, was sich so in der Statistik zeigt, wird dann in Zukunft von der Bank gemieden. Das hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun, es kann ihrer finanziellen Situation spotten, aber in Ihrer Kombination von Datenmerkmalen liegt für die Bank ein »höheres Risiko«, und deshalb müssen Sie auf bestimmte Leistungen verzichten oder viel größere Mühen in Kauf nehmen, wenn Sie solche Leistungen von Ihrer Bank erlangen wollen.
Auf Ihre besondere Situation wird aus dieser Betrachtungsweise heraus nicht mehr eingegangen. Sie sind in dieser Betrachtung kein Kunde mehr, jedenfalls nicht mehr als Mensch. Sie sind eine Ansammlung erfassbarer Merkmale. Das ist alles, worauf es in einer solchen Betrachtung noch ankommt. (Vergleichen Sie das bitte einmal mit der Reklame der Banken, und dann bilden Sie sich selbst Ihr Urteil über diese verbrecherischen Lügner.)
Und solche Vorgehensweisen sollen jetzt ein Vorbild für die Arbeitsvermittlung durch die Bundesagentur für Armut und billige Arbeitskräfte werden. Und wie schon zweimal gesagt, bei diesem „Konzept“, das sich konzeptbedingt durch völlige Verachtung des Individuums hervortut, wird nichts an der grundlegenden Situation geändert, dass auf eine verfügbare Arbeitsstelle zurzeit fünfzehn bis zwanzig arbeitslose Menschen kommen.
Nicht ein Mensch kann durch eine solche Vorgehensweise zusätzlich vermittelt werden. Nicht eine Arbeitsstelle entsteht durch eine solche Vorgehensweise.
Aber dennoch, es entsteht eine Wirkung auf die Menschen, die mit einem solchen „beschäftigungsorientierten Fallmanagement“ behandelt werden. Sie müssen, von ihrer durch die Geldarmut und Arbeitslosigkeit bedingten Not angetrieben, einen intimen Datenstriptease vor einem Mitarbeiter einer deutschen Bundesbehörde machen, ohne dass es einen sachlichen Grund für diese Befragung gibt und ohne dass die dabei auftretenden statistischen Muster eine einzige zusätzliche Arbeitsstelle schaffen oder die Möglichkeiten der Vermittlung verbessern könnten.
Das ist nur noch entwürdigend. Das ist nur noch Terror. Und wenn der Terror schon nicht die Absicht hinter diesem „Konzept“ ist, so wird er doch billigend in Kauf genommen. Als individuell zugeschnittene Form der Vermittlung, die in der Selbstbeweihräucherung der Bundesagentur immer so aufdringlich proklamiert wird, kann so etwas ja wohl nicht gemeint sein!
Und dann ist da noch diese Verschiebung der Aufmerksamkeit, die im Rahmen eines solchen „Konzeptes“ befördert wird. Als Ursache der Arbeitslosigkeit wird hier durch eine deutsche Bundesbehörde nicht der objektive und statistisch hervorragend erfasste Mangel an Arbeitsstellen betrachtet und behandelt, sondern intime Details aus dem Leben des Arbeitslosen, von dem in einem solchen Gespräch mehr an Stumpfheit und Selbsthass gefordert wird als man ihm jemals in irgend einer Förderung zurückgeben könnte. Er ist arbeitslos, weil er den falschen Lebensgefährten hat oder eine bestimmte Form der Freizeitgestaltung bevorzugt, nicht weil es einfach keine Arbeit gibt – oder genauer gesagt, weil’s immer weniger Unternehmen gibt, der für Arbeit bezahlen wollen. Das ist die Krönung der bisherigen Frechheiten im Zuge der so genannten »Reformen« unter dem Schröderregime. Zu Ende gedacht bedeutet es, dass man die Arbeitslosigkeit als von den Arbeitslosen verursacht betrachtet und sie irgendwann auch so behandeln wird – vielleicht sogar mit jener technokratisch-seelenlosen und mechanischen Mordlust, die typisch für die jüngere deutsche Geschichte ist, als Endlösung des Arbeitslosenproblemes.
Für mich ist mit dieser Vorgehensweise einer deutschen Bundesbehörde jede weitere Toleranz gegenüber den hier entstehenden Zuständen unmöglich geworden. Es handelt sich nur noch um eine schamlose Kriegserklärung gegenüber denjenigen Menschen, die eh schon die Verlierer des derzeitigen gesellschaftlichen Prozesses sind. Und es wird höchste Zeit, dieser Kriegserklärung die angemessene Erwiderung entgegenzuschleudern.
Etwas besseres als den Tod finden wir überall!